Die AVG Novelle: Großverfahren im Turbo-Modus?

Am 19.11.2025 hat der Nationalrat eine Novelle zum „Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz“ („AVG“) beschlossen, die mit 01.01.2026 in Kraft treten soll. Ziel der Novelle ist es, Großverfahren zu beschleunigen und kostengünstiger zu gestalten. Doch was versteht das AVG überhaupt unter einem „Großverfahren“?

Großverfahren sind auf Antrag eingeleitete Verwaltungsverfahren, bei denen – wie der Name schon vermuten lässt – eine erhöhte Anzahl an Beteiligten zu erwarten ist. Typische Anwendungsfelder finden sich insb im Betriebsanlagen-, Umwelt- und Wasserrecht. Für diese Verfahren sieht das AVG besondere Bestimmungen vor, die eine koordinierte und effizientere Verfahrensführung ermöglichen sollen.

So kann eine Behörde, wenn voraussichtlich über 100 Personen beteiligt sein werden, den verfahrenseinleitenden Antrag durch Edikt kundmachen (§ 44a AVG). Mit der ediktalen Kundmachung gilt der Anwendungsbereich des Großverfahrensregimes als eröffnet. Die Konsequenz ist wesentlich: Wer nicht fristgerecht schriftliche Einwendungen erhebt, verliert ex lege seine Parteistellung. Damit soll dem verwaltungsverfahrensrechtlich bekannten „Problem der übergangenen Parteien“ entgegengetreten werden.

Weitere Besonderheiten für Großverfahren sind die Möglichkeit einer öffentlichen Erörterung (§ 44c AVG) zur Sicherstellung von Information und Transparenz (AB 1167 BlgNR XX. GP, 34) sowie die Zustellung durch Edikt: Schriftstücke – wie etwa Bescheide, Gutachten oder Verfahrensanordnungen – können von der Behörde ediktal veröffentlicht werden. Nach zwei Wochen gilt ein solches Schriftstück als zugestellt; die Zustellung wird mithin fingiert (§ 44f Abs 1 AVG, AB 1167 BlgNR XX. GP, 33).

Mit der Novelle sollen diese Instrumente erweitert bzw in wesentlichen Punkten präzisiert werden. Konkret bringt die Novelle insb folgende Änderungen mit sich:

  • ediktale Kundmachungen sind bereits bei mehr als 50 Beteiligten zulässig;
  • die bisher geltende „Ediktalsperre“ (temporäre „Sperre“ für ediktale Kundmachungen in den Ferien) zwischen dem 15. Juli bis 25. August sowie dem 24. Dezember bis 06. Jänner entfällt zur Gänze;
  • die Behörde kann den Schluss des Ermittlungsverfahrens auch nur für einzelne Teilbereiche derselben Sache erklären (statt eines Abschlusses en bloc);

  • der verfahrensbeendende Bescheid ist zwingend und ausschließlich durch Edikt zuzustellen;
  • die Behörde kann den Antragsteller zur direkten Zahlung der von ihm zu tragenden Barauslagen verpflichten; eine Vorfinanzierung durch die Behörde ist sohin nicht mehr erforderlich;
  • Edikte sind künftig nicht mehr im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“, sondern nunmehr im „Rechtsinformationssystem des Bundes“ („RIS“) zu verlautbaren;
  • bei Anberaumung einer mündlichen Verhandlung kann die Behörde gleichzeitig eine Frist für weitere Vorbringen setzen.
Bisher Neu Ziel
Großverfahren erst ab > 100 Beteiligten bereits ab > 50 Beteiligten Erweiterung des Anwendungsbereichs für Großverfahren
Ediktalsperre im Sommer und zu Weihnachten gänglicher Wegfall der Sperrfristen keine künstlichen Stillstände mehr
Abschluss des Ermittlungsverfahrens nur en bloc; dh nur jeweils hinsichtlich trennbarer Sachen Schluss auch für einzelne Teilbereiche derselben Sache möglich Verfahrensbeschleunigung
Edikt oder persönliche Zustellung des verfahrensbeendenden Bescheids zwingend ediktale Zustellung Einheitlichkeit, Vermeidung von Zustellproblemen
Barauslagen werden zunächst von der Behörde getragen Möglichkeit der direkten Tragung durch den Antragsteller Kostenersparnis
Verlautbarung des Edikts ua im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ Verlautbarung im „RIS“ Umstieg auf eine modernere Publikationsplattform
keine Fristsetzung bei Anberaumung einer mündlichen Verhandlung Möglichkeit der Fristsetzung für weitere Vorbringen Verfahrensstrukturierung und -beschleunigung

Die Novelle enthält sowohl verfahrensbeschleunigende als auch kostendämpfende Elemente. Positiv hervorzuheben ist (endlich!) die Absenkung der Beteiligtenzahl – in Anlehnung an die deutsche Rechtslage, die bereits 1996 eine Schwelle von 50 Beteiligten eingeführt hat – sowie der Wegfall der Ediktalsperre, die im digitalen Zeitalter mit jederzeit verfügbarer elektronischer Information kaum mehr zeitgemäß erschien.

Gleichzeitig bleibt jedoch weiterer Modernisierungsbedarf bestehen: Die weiterhin vorgesehene Veröffentlichung in zwei im Bundesland weitverbreiteten Tageszeitungen wirkt angesichts digitalisierter Publikationswege anachronistisch. Fraglich bleibt zudem, warum die Schwelle gerade bei 50 Beteiligten festgelegt wurde und nicht niedriger; schließlich verbleibt die Entscheidung über die Anwendung des Großverfahrensregimes ohnehin im Ermessen der Behörde.

Ob die neuen Instrumente ihre Wirkung entfalten, wird maßgeblich von der behördlichen Anwendungspraxis abhängen. Erst diese wird zeigen, ob die versprochene Beschleunigung von Großverfahren erreicht wird – oder ob vorerst nur der potenzielle Anwendungsbereich des Großverfahrensregimes erweitert wird. Der prophezeite „Turbo“ zündet daher noch nicht ganz.

Verfasst von:

Mag. Maximilian Schleich
Rechtsanwaltsanwärter

SHMP Schwartz Huber-Medek Partner Rechtsanwälte GmbH
Hohenstaufengasse 7
A-1010 Wien

tel: +43.1.513 50 050
fax: +43.1.513 50 05-50
office@shmp.at